30. Sonntag im Jahreskreis B 2021
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30. Sonntag im Jahreskreis 2021 B

Messtexte | Word-Dokument

Selina ist acht Jahre alt. Heute hat sie einen schlechten Tag. Schon beim Frühstück ärgert sie sich, weil sie glaubt, ihr kleiner Bruder, der noch in den Kindergarten geht, habe mehr Schoko-Müsli in den Teller bekommen als sie selbst. Sie sieht gar nicht, wie er ihr seinen kleinen braunen Teddybär entgegenstreckt und mit ihr spielen will, so beleidigt starrt sie in ihren Teller. Im Schulbus kramt sie gleich ihr Rechenbuch heraus und wiederholt den Unterrichtsstoff der letzten Stunde. Sie hat Angst, sie könnte vom Lehrer ausgefragt werden. So verbissen studiert sie ihr Heft, dass sie gar nicht wahrnimmt, wie ihre Freundin, die neben ihr sitzt, ihr den neuen Haarreif zeigen will, den sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Nach der Schule beim Mittagessen ärgert sie sich schon wieder: diesmal über die vielen Aufgaben, die sie aufbekommen hat. Sie merkt gar nicht, dass die Mutter ihr extra ihr Lieblingsessen gekocht hat, um ihr Freude zu machen. Ganz enttäuscht ist die Mutter, dass Selina nichts sagt. Dabei hat sie sich so viel Arbeit gemacht. Selina löffelt und schweigt. Sie sieht nur den Berg Aufgaben und ärgert sich sogar noch beim Nachtisch.

Was will ich mit dieser Geschichte sagen. Selina konnte zwar mit den Augen sehen, und doch war sie für viele Dinge blind. Sie sah nicht die ausgestreckte Hand ihres Bruders, hatte keinen Blick für ihre Freundin und nahm auch die Liebe der Mutter nicht wahr. Manchmal können die Augen sehen, und doch ist das Herz blind.

Die Geschichte von Bartimäus erzählt, dass Jesus körperliche Blindheit heilt. Doch in manch anderen Dingen war er gar nicht blind. Er war bereits sehend im Glauben. Er hatte das feste Vertrauen, Jesus kann mir helfen, sonst hätte er nicht so laut geschrien: Herr, erbarme dich. Sohn David, erbarme dich meiner. Es ist der Kyrieruf am Anfang jeder hl. Messe.

Halten wir uns die Situation nochmals vor Augen. Da ist eine große Menschenmenge, die mit Jesus geht. Dies war sicherlich kein Schweigemarsch, als sie mit Jesus Jericho verließen. Dieses Schreien des Bettlers wird trotz dieser Geräuschkulisse einer orientalischen Volksmenge zu stark und zu laut. Selbst diesen Leuten, von denen man meinen könnte, dass sie so einen Lärmpegel gewohnt waren, geht nun dieser Blinde auf die Nerven. Das heißt etwas! Es war ihnen so unangenehm, dass sie ihm befahlen zu schweigen. Dieser aber lässt sich davon nicht beeindrucken und schreit noch viel lauter und viel kräftiger. Er gibt so schnell nicht auf. Jesus muss ihn einfach hören. Er, der Blinde, der in großer Not ist, glaubt an Jesus, das Licht. Er glaubt, Jesus kann ihm helfen und heilen. Er glaubt, dass Jesus der Messias ist. Gehört hat er von Menschen: Es kommt Jesus aus Nazaret. Gerufen aber hat er: Sohn Davids. Damit hat er ein Glaubensbekenntnis an den Messias abgelegt. Er war damit ein Sehender im Glauben.

Von dem Blinden konnten die Jünger nun glauben lernen. Auch wir können von diesem starken Glauben nur lernen.

Und das zweite ist seine Beharrlichkeit. Er hört nicht auf zu schreien, sondern ruft noch lauter, als man ihn hindern will. Es erinnert an das Gleichnis Jesu vom zudringlichen Freund: Mitten in der Nacht klopft einer bei seinem Freund. Er will, dass er ihm drei Brote leihe. Dieser lehnt ab. Als jener aber nicht aufhört anzuklopfen und zu betteln, heißt es: „Wenn er auch nicht deshalb aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, soviel er nötig hat.“ Man darf dies fast als Aufforderung auffassen: Ruhig aufdringlich sein. Ruhig dem lieben Gott lästigfallen. Noch lauter schreien. Wenn du in Not bist, den lieben Gott immer wieder bitten, dass er dich erhört. Beharrlich beten und bitten. Viele Menschen geben zu schnell auf und denken: „Der liebe Gott hat mich nicht sofort erhört. Er mag mich nicht. Er liebt mich nicht.“ Nein, der liebe Gott möchte, dass wir weiterhin auf ihn vertrauen und ihn immer wieder bitten. Wir sollen ihm aber dann alles übergeben. Manchmal erhört uns Gott auch deshalb nicht, weil wir sonst aufhören würden zu beten, und das will er nicht. Auch diese Frage kann man sich stellen.

Letztendlich möchte er von uns ein großes Gottvertrauen. Schenken wir ihm dieses Vertrauen! Dann wird er auch uns fragen, so wie den blinden Bartimäus: Was soll ich dir tun? Und Gott wird die Bitte nicht nur hören, sondern zu uns sagen: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Amen.


© Pfarrer Christian Poschenrieder 2024