Karfreitag A 2002
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Die katholische Predigtsammlung von Pfarrer Poschenrieder
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Karfreitag 2002 A

Messtexte | Word-Dokument

Kaum ein Mensch wird damals verstanden haben, was am Karfreitag geschah. Nicht einmal Maria wusste, wie es weitergehen würde. Maria vertraute zwar auf den Willen Gottes, kannte jedoch Gottes Pläne auch nicht. Auch für sie waren es trotz des enormen Vertrauens in ihren Sohn unfassbare Stunden und viele Rätsel. Maria litt unendliche Schmerzen in diesem Augenblick, ein tiefes seelisches Mitleiden. Erst langsam wird man erkennen, dass alle Geschehnisse in den Händen der himmlischen Vorsehung liegen. Mit der Zeit entdeckt man, dass doch viele Texte des Alten Testaments schon in geheimnisvoller Weise auf Christus hinweisen. Schon Josef, den seine Brüder töten wollen und der später seine Brüder in Ägypten vor der Hungersnot bewahrt, weist auf Jesus Christus hin. Auch Isaak, der im Auftrag Gottes geopfert werden soll, ist ein Vorausbild für den Herrn. Ist nicht die eherne Schlange, die Moses in der Wüste an einem Pfahl aufhängt, um die Israeliten vor dem Tod zu retten, ein Hinweis auf den gekreuzigten Heiland? Deutet nicht das Paschalamm, dessen Blut an die Türpfosten gestrichen wurde, damit der Tod vorbeigehe, hin auf das Blut des Gekreuzigten? Auch die Propheten sprechen vom Gottesknecht, der leiden muss, damit das Volk gerettet wird. Nun begreifen die Jünger auch manche Worte des Herrn, die ihnen bisher verschlossen geblieben waren: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.« Oder: »Es gibt keine größere Liebe als die, wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde.« Oder: »Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen.« Oder: »Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.« Wir dürfen heute von dieser Sicht aus auf das Kreuz schauen. Damals, als Maria und Johannes unter dem Kreuz standen, hatten sie noch nicht diesen Durchblick. Wir wissen, dass Jesus nach drei Tagen auferstanden ist. Aber auch wir sind heute aufgerufen unter das Kreuz zu treten, innezuhalten, das Leiden und Sterben des Herrn zu betrachten, bei ihm zu verweilen mit aller Not und aller Dunkelheit unseres Lebens. Unter dem Kreuz wird sich diese Not verwandeln. Der Blick auf das Kreuz schenkt uns Trost in unserem Leid. Im Alltag hat jeder von uns sein Kreuz zu tragen – in ganz verschiedener Form. Wenn wir auf Jesus schauen, der sein schweres Kreuz bis zur Hinrichtungsstätte schleppte – und das aus reiner Liebe zu uns, dann werden auch wir die Kraft erhalten, in den Sorgen unseres Alltags durchzuhalten. Und mit dieser Kraft aus dem Kreuz Christi werden auch wir so gestärkt, dass wir nie aufgeben. Neben dieser Kraft aus dem Leiden Christi wird der Herr selbst uns Menschen zur Seite stellen, die uns helfen und trösten, wenn uns die Last unseres Lebens zu erdrücken scheint. Denken wir an Simon von Cyrene, der – wenn auch anfänglich etwas unfreiwillig – Jesus das Kreuz tragen hilft. Wenn wir ihn vor Augen haben, werden wir an ein Wort Jesu besonders erinnert, das auch uns auffordert: Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Dieser Simon gab uns ein Beispiel tätiger Liebe. Als Christen sind wir dazu aufgerufen, mit offenen Augen durch das Leben zu gehen und andere tatkräftig zu unterstützen, wenn ihnen ihr Kreuz zu schwer wird. Christliche Nächstenliebe drückt sich im Mittragen des Kreuzes aus. Diese Hilfe kann folgendermaßen aussehen: Zeit nehmen für den Mitmenschen, ihm zuhören, ihn auf den Weg zu Gott führen. Dieser Liebesdienst wird sehr oft in sehr kleinen Dingen bestehen, die allerdings von sehr hohem Wert sind. Weiters sehen wir auf dem Kreuzweg eine Veronika, die Jesus mutig ein Schweißtuch reichte. Gerade dieses Zeichen spendete Jesus sicherlich Trost. Veronika bewies einen starken Glauben, sie blieb nicht feige in der Menge stehen, die Christus verspottete. Nein, unter den erstaunten Blicken aller Umstehenden schritt sie auf Jesus zu. Niemand konnte sie von diesem Liebesdienst abhalten. Die Situation war dabei nicht ungefährlich für sie. Veronika verhielt sich nicht wie die weinenden Frauen, die durch ihre Tränen die scheinbare Ausweglosigkeit des Geschehens ausdrückten. Im Gegenteil: Sie drängt sich nach vorne, um ein Zeichen tätiger Liebe zu setzen. Natürlich erleichterte auch die bloße Anwesenheit seiner Mutter das Leiden Jesu. Sicherlich wusste er, wie stark auch Maria leiden musste. Doch ihre Treue stärkte ihn auf seinem Kreuzweg. Ihr Glaube und ihr Vertrauen in Gottes Verheißung ließ sie nicht irrewerden und nicht von der Seite des geschundenen Heilands weichen. Heute also wollen wir so wie Maria und Johannes unterm Kreuz stehen und auf den Gekreuzigten schauen. Wir spenden damit nicht nur Jesus Trost, sondern wir werden ungleich mehr von ihm beschenkt, denn er wird uns stärken, wenn es auf unserem Lebensweg schwer wird. Vielen wurde durch diesen Blick auf den gekreuzigten Heiland in leidvollen Tagen das Weitergehen leichter gemacht. Schauen wir, wenn es schwer wird, auf das Kreuz. Es spendet sicher Trost. Amen.


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